Matthias Beckonert

"Die Adoption der Aufklärung" [Arbeitstitel]

Beckonert, Matthias.jpg
© M. Beckonert

Kurzbiographie

  • 2016–2020: Bachelorstudium der Germanistik, Vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft sowie Psychologie an der Universität Bonn
  • 2018–2021: SHK/WHK bei Professor Dr. Christian Moser (Komparatistik) sowie im Verbundlehrprojekt „ „Hausarbeiten Schreiben. Lernen und Lehren mit digitaler Unterstützung“ (HSL+) bei PD Dr. Elke Dubbels & PD Dr. Andrea Schütte
  • 2020–2022: Masterstudiengang „German and Comparative Literature“ an der Universität Bonn und der University of St Andrews; DAAD- und Fakultätsstipendium (PhilFak, Universität Bonn), Gray Prize (Faculty of Arts and Divinity, St Andrews)
  • Seit 2022: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Komparatistik-Lehrstuhl von Prof. Dr. Christian Moser; Projektassistenz für den binationalen Masterstudiengang „German and Comparative Literature“ (Bonn/St Andrews); Sprecher des Strukturierten Promotionsprogramms

Forschungsinteressen

  • Wissenspoetologie
  • Literatur und Humanwissenschaften um 1800
  • Posthumanismus
  • Die mediale Repräsentation der Haitianische Revolution

Publikationen

  • ‚Imagine (Other Beings): The Animal Gaze in Baudelaire, Robertson, and Varo‘, in: Arthur Terry Postgraduate Prize 2022 of the British Comparative Literature Association (September 2022), unter: https://bcla.org/prizes-awards/arthur-terry-postgraduate-essay-prize/.
  • ‚Pathologische Wahrheit(en). Aphasie und Paranoia als Schreib- und Erkenntnismodell bei Wolf Haas und Thomas Pynchon‘, in: Komparatistik. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft 2020/2021, hg. v. Annette Simonis, Martin Sexl ubd Alexandra Müller, Bielefeld: Aisthesis, 2022, S. 177–195.

Abstract zur Diessertation

Mit der Adoption nimmt das angestrebte Dissertationsprojekt eine in der kulturwissenschaftlichen Forschung bisher vernachlässigte Denkfigur in den Blick, die konstitutiv an der Grenze zwischen Natur und Kultur angesiedelt ist. Als Institution, die eine wie auch immer geartete ‚natürliche‘ Abstammung juristisch formiert, lenkt sie den Blick auf den Einfluss, den Recht und Politik auf die Bildung und Anerkennung von Lebensgemeinschaften und den in ihnen (primär) sozialisierten Subjekten haben. Zur Adoption arbeiten bedeutet damit auch, sich mit einer eminent politischen Grundfragen der westlichen Moderne zu befassen (vgl. Koschorke 2009): Welche Bereiche erklären Gesellschaften als ‚natürlich‘ und damit als unverfügbar und unvorgänglich – und was wird dem Einflussbereich der Kultur zugeordnet?

In der seit der Aufklärung virulenten Diskussion um das Verhältnis von Natur und Kultur nimmt die Adoption eine Sonderrolle ein. Ohne die ‚Fiktion der Adoption‘, so schreibt es beispielsweise der evolutionistische Rechtshistoriker Henry Sumner Maine in seinem Hauptwerk Ancient Law, „it is difficult to understand how society would ever have escaped from its swaddling-clothes, and taken its first steps towards civilisation” (1861, S. 27). Explizit wird die Rechtsfiktion der Adoption also an den Anfang einer temporal gedachten Entwicklung der Menschheit gestellt und an den Übergang verschiedener Kulturstufen gestellt. Eine solche Funktionalisierung der Adoption an Schwellenmomenten lässt sich ab dem 18. Jahrhundert in verschiedenen Gesellschaftsbereichen beobachten: Gotthold Ephraim Lessing thematisiert mit der Adoptionsgeschichte in Nathan der Weise auch den Übergang zu einer neuen Zeichenformation, die einer im Laokoon argumentativ entfalteten Präferenz von geistig-idealer Kulturalität gegenüber natürlicher Mater(n/ial)ität entspricht (Wellbery 1984; Schlipphacke 2023, 117–143). Der Altphilologe Johann Jakob Bachofen argumentiert im Hinblick auf den Ödipus-Mythos in seiner einflussreichen Studie zum Mutterrecht, dass die Adoption den Übergang von einem naturgebundenen Matriarchat zu einer vaterrechtlichen Kultur markiere (1861, S. 168–173). Sigmund Freud und in der Nachfolge auch Lacan haben den sogenannten Familienroman, der ja auch eine Adoptionsfantasie beinhaltet, gleich zur Grundlage des heterosexuellen, kernfamilialen Ödipus-Komplexes mit seiner Festschreibung symbolischer Familienrollen (vgl. dazu Deleuze u. Guattari 1983, S. 55f.) gemacht, auf dem ihre Psychoanalyse beruht – wobei Letzteres von einer feministischen Rezeption der Psychoanalyse wiederum dekonstruiert und mit dem Vorschlag gekontert wird, einen Antigone-Komplex an seine Stelle zu setzen (vgl. Butler 2002; Engelstein 2017). Georg Eliot und Achim von Arnim stellen die Adoption in den ökonomischen Kontext geänderter Erbrechtsregelungen; vor dem Hintergrund des politischen Freiheitskampfs der Haitianischen Revolution (bei Heinrich von Kleist, Caroline Auguste Fischer und Éméric Bergeaud) ebenso wie bei anderen Geschichten im kolonialen Kontext (etwa Claire de Duras‘ Ourika) wird sie in Anschlag gebracht, um die Formation subalterner Subjekt- und Staaten zu verhandeln.

Mithin geht es in dieser Arbeit nicht um eine historische Rekonstruktion der transhistorischen und transkulturellen Institution der ‚Adoption‘, sondern darum, Ihren Einsatz an Momenten diskursiver Umbrüche synchron und mit komparatistischer Ausrichtung zu beobachten. Die Literatur wird dabei in doppelter Hinsicht als privilegierter Forschungsgegenstand verstanden: Zum einen arbeitet sie mit daran, bestimmte kulturelle Codes und Narrative zu produzieren, sie in Zirkulation zu bringen und zu tradieren und kann somit als eine Semiotechnik bestimmt werden, die an der Naturalisierung bestimmter Formen des Zusammenlebens mitwirkt; nicht von ungefähr spricht Friedrich Kittler von der „Geburt der Familie im bürgerlichen Drama und durch das bürgerliche Drama“ (1977, 111). Und gerade weil es auf der anderen Seite ein Charakteristikum moderner Literatur ist, „spezifische Formen für ein Beobachten von Beobachtungen in die Welt zu setzen“ (Luhmann 1995, 115), soll sie den juristischen, politischen und wissenschaftlichen Primärtexten an die Seite gestellt werden.

Wird geladen